Die heilige Katharina von Siena (1347 – 1380) und ihre Zeit

(1.Teil)

(1347-1380 / Fest: 30.April) Es ist durchaus sinnvoll, sowohl das Vorbildhafte, aber auch die Schattenseiten und Schwierigkeiten vergangener Generationen zu betrachten, um auch die Chancen und Gefahren unserer Gegenwart besser einordnen und erkennen zu können und so auch gangbare Wege bei der Bewältigung unserer eigenen Aufgabe und Berufung heute besser erkennen und einordnen zu können.
Wir stehen als Menschen ja immer ein wenig in der Gefahr, nur uns selbst und unsere eigenen Schwierigkeiten im Blickfeld zu haben und dadurch den Blick auf das Ganze der Wirklichkeit, damit verbunden auch das Vertrauen auf die Vorsehung Gottes und auf Sein gnadenvolles Wirken im Gestern und Heute zu verlieren. Wir leben heute besonders als Katholiken in einer Zeit großer geistiger Herausforderung, weil selbst viele „Hirten“ der Kirche nicht mehr gewillt oder fähig sind, die Herde Christi richtig und klar zu führen. Geistige Dunkelheit und Verwirrung breiten sich so immer mehr aus.
Nicht menschliche Kraft allein, sondern nur Gottes Geist, den wir um Seinen Beistand anrufen, können uns vor dieser Gefahr schützen. Aber auch der Blick auf die Heiligen, die sich von diesem Heiligen Geist führen ließen, um mit den Missständen und Nöten ihrer Zeit fertig werden zu können.
Das Mittelalter gilt mit Recht als die Zeit großer Gottes- und Nächstenliebe, als eine Epoche des übernatürlichen Strebens und Denkens, als ein Zeitalter erstaunlicher Kunstwerke und großer wissenschaftlicher Bemühungen, als die Zeit, die den Grundstein des geistigen und technischen Fortschritts der ganzen abendländischen Kultur gelegt hat, welche bis heute für viele andere Kulturen zum „Sauerteig“ für den Fortschritt und zum Antrieb der Vervollkommnung jeglicher menschlicher Zivilisation geworden ist.
Aber wie jede Zeit kannte auch diese Epoche ihre Schattenseiten. Die Welt brauchte deshalb immer die Heiligen, die aus der Liebe zu Gott leben und in diesem Sinn auch Wegweiser zum Heil sind.
Das Abendland konnte nur deswegen Motor für die sittliche Entwicklung und Vervollkommnung ganzer Völker werden, weil sich Menschen einst der Gnade Gottes, die in der Liebe Jesu Christi offenbar wurde, geöffnet haben und so die eher kleingeistige Bemühung um den bloßen Fortschritt in Wissen und Technik, die auch jeden nur natürlich denkenden Menschen antreibt, durch die sittliche Bemühung um wahre Gottes- und Nächstenliebe veredelt und auf ein höheres Niveau menschlicher Erfüllung und Vollendung gehoben haben.
Gott ruft die Menschen in Seinem Sohn Jesus Christus zur übernatürlichen Liebe, die nur in Gerechtigkeit und Wahrheit verwirklicht werden kann. Alle immer wieder unternommenen Versuche, die Welt oder die abendländische Kultur von Christus zu „befreien“, konnten deshalb immer nur in barbarische, grauenhafte, von Liebe, Wahrheit und Recht losgelöste Diktaturen führen, die wegen dieses Mangels immer auch die Freiheit des Menschen und seine eigentliche Bestimmung als Ebenbild Gottes in Gefahr brachten.
Wir sollten deshalb immer auf der Hut sein. Es nützt nichts, das Christentum nur dem Namen nach im Mund zu führen, die Gesinnung und den Auftrag Christi aber zu verraten oder zu vergessen.
So wurde auch die heilige Katharina, wie alle Heiligen, zum „Fingerzeig“ Gottes für ihre Zeit. Sie erscheint wie ein Spiegel des christlichen Gewissens gegen ein allzu weltlich und damit letztlich unchristlich verhaftetes Denken und Handeln, das sich auch damals in Kirche und Welt breit zu machen drohte.
Sie hat keineswegs eine herausragende Rolle als Lehrerin oder Führerin gesucht, wollte ursprünglich eher ganz im Verborgenen leben und Christus so dienen. Christus selbst hat sie jedoch selbst aus dieser Verborgenheit gerufen und sie zuerst zum Dienst am Nächsten in den Armen, Kranken und Gefangenen, später auch zu höchst verantwortungsvollen, friedensvermittelnden politischen Aufgaben bestimmt, die sie im Vertrauen auf Gottes Hilfe und auf Seinen heiligen Willen auch mit übernatürlichem Erfolg gemeistert hat.
Katharina übernimmt so als Frau im Mittelalter eine wichtige lehrende und führende Rolle ähnlich anderen großen und heiligmäßigen Frauen, die damals zu geistlich-geistigen Führerinnen und Orientierungspunkten ihrer Zeit geworden sind, wie z.B. die heilige Hildegard, die heilige Elisabeth, die heilige Gertrud von Helfta, die heilige Mechthild von Hackeborn, die heilige Brigitta und viele andere mehr. Sie alle spiegeln die hohe Bedeutung der mütterlichen Berufung der Frau in der Kirche wider, die in Maria, der Mutter Jesu, ihr Urbild hat und das Leben der Kirche je nach Herausforderung der Zeit mit Gottes Hilfe immer wieder neu bereichert und stärkt.
Gottes- und Nächstenliebe Katharinas machten ihr Tun und Reden wahrhaftig und gerecht. Das verlieh ihr eine große übernatürliche Autorität und Gewalt über die Seelen, so dass sich viele Sünder bekehrten und selbst mächtige Männer sie um Rat und Hilfe anriefen, wenn sie selbst trotz all ihrer politischen „Weisheit“ und Macht nichts mehr vermochten.
Die Liebe verlieh ihr Demut, und die Demut half, dass die Menschen die Wahrheit, die sie aussprach, verstanden und annahmen. „Durch ihre heilige Lehre rührte Gott mein Herz. Die Zahl ihrer Anhänger war überaus groß … Des Heiligen Geistes voll, warme Liebe im Herzen, sandte diese Dienerin Gottes zahlreiche Briefe aus, an jeden nach seinem Stande und dem Bedürfnisse seines Seelenheils, erbauliche, erhabene Worte … Freimütig sagte sie die Wahrheit … überall zur Erbauung und Belehrung“, schreibt Cristofano Guidini, ein Zeitgenosse von ihr und Notar in Siena (Riesch, Helene, Die heilige Katharina von Siena, Freiburg im Breisgau 19215, S.5).
„Als tröstende Friedensstifterin, als liebende Krankenpflegerin, als demütige Dulderin übt sie die unwiderstehliche Gewalt hingebendster Mutterliebe aus und versammelt um sich einen Kreis hervorragender Männer und Frauen, die sich wie Kinder von ihr leiten lassen. An Päpste, Kaiser und Könige, an aufständische Bürgerschaften und rohe Soldaten richtet sie mündlich und schriftlich ihr Wort mit einer Freimütigkeit und Kraft, dass kaum ein einziger Mann unter ihren Zeitgenossen in dieser Beziehung mit ihr verglichen werden kann, und wo Männerkraft und Weisheit umsonst sich anstrengt, erreicht sie staunenswerte Erfolge … Ohne Übertreibung darf man behaupten, Katharina von Siena allein würde genügen, um einen vollgültigen Beweis von der überirdischen Macht und dem göttlichen Ursprunge des Christentums zu liefern“, schreibt P. Augustin Rösler (ebd.).
„Man sagt ihr nach, niemand sei ihr genaht, ohne weiser und besser zu werden“ (a.a.O., S.7). Was für ein schöneres Zeugnis könnte es für einen Menschen hier auf Erden geben?
Geboren wurde sie im Jahre 1347 als 24. von 25 Kindern ihrer Eltern, des Färbereibesitzers Jakob Benincasa und seiner Frau Lapa. Da ihre etwas jüngere Zwillingsschwester schon früh verstarb, war sie bald die Jüngste im Hause und wurde dort gerne auch „Euphrosyne“ (die Frohsinnige, griech.) genannt. Später führte sie das zur Verehrung der heiligen Euphrosyne (gest. um 470), die einst im Mönchsgewand vor der Trauung geflohen sein und bis zu ihrem Tod unerkannt in einer Mönchsgemeinschaft gelebt haben soll, was auf Katharina, die ja selbst am liebsten in den Predigerorden der Dominikaner eingetreten wäre, um möglichst viel für das Heil der Seelen wirken zu können, sicher Eindruck machte.
Denn schon früh erfüllte heilige Gottesliebe ihr kindliches Herz. Schon mit fünf Jahren liebte sie es, beim Hinaufsteigen der Treppe bei jeder Stufe Maria durch eine kleine Kniebeuge zu grüßen und mit sechs Jahren zeigte sich ihr einmal beim Nachhauseweg über der Dominikanerkirche Christus selbst, wie ein Papst mit der Tiara bekleidet, auf einem herrlichen Thron mitten unter Seinen Aposteln Petrus, Paulus und Johannes und gab ihr freundlich Seinen Segen. Als ihr dann später immer wieder die Schau übernatürlicher Dinge zuteil wurde, kam ihr die Befürchtung, dass sie vielleicht auch der Satan umgaukle. Diese Sorge ist ein Hinweis auf ihre unbedingte Wahrheitsliebe, aber auch auf ihre Glaubwürdigkeit.
Ihr Seelenführer Raimund von Capua berichtet, wie Christus ihr dann selbst eine wichtige Anleitung zur Unterscheidung der Geister gab, indem Er zu ihr sprach: „Meine Visionen … beginnen in der Furcht, aber geben alsdann Ruhe und Sicherheit, im Anfang etwas bitter, werden sie immer süßer. Bei den Visionen des Teufels geschieht es gerade umgekehrt … So ist auch mein Weg, der Weg der Buße, zuerst rau und schwierig, aber je weiter man fortschreitet, desto leichter wird er. Umgekehrt dünkt dem Menschen der Pfad des Lasters anfangs sehr angenehm, aber er bringt Bitterkeit und Elend … Meine Visionen verleihen der Seele eine immer bessere Erkenntnis der Wahrheit … über mich und über sich … Deshalb müssen meine Visionen die Seele immer demütiger machen, denn je besser sie sich erkennt, desto mehr verachtet sie sich. Bei den Visionen des Teufels geht es umgekehrt. Er ist der Vater der Lüge, der König aller Söhne des Stolzes. Darum entspringt aus seinen Visionen in der Seele jedes Mal eine gewisse Selbstachtung, eine Neigung zur Anmaßung. Diese Seele wird gänzlich aufgebläht, innerlich aber leer. Daran kann man stets erkennen, woher eine Vision kommt“ (a.a.O., S. 11f.).
Katharina begann schon früh, mit anderen kleinen Mädchen ihres Alters das Vaterunser und den Englischen Gruß zu beten und sich – der Sitte der Zeit gemäß – auch selbst zu geißeln. Auch verzichtete sie weitgehend auf Fleisch und gab es bei Tisch immer heimlich ihrem Bruder Stefan.
In kindlicher Naivität hatte sie sich einmal mit einem Brot in der Tasche auf den Weg gemacht, um in die Wüste zu ziehen und wie die frühen Mönchsväter dort ganz allein für Gott zu leben. Vor der Stadt hatte sie eine Höhle gefunden und begann, dort zu beten. Gott aber ließ sie da erkennen, dass sie für ein solches Leben noch zu schwach sei und half ihr nach ihrem eigenen Zeugnis in einem Augenblick wieder zurück zur Stadt.
Mit sieben Jahren hatte sie bereits ein Gelübde abgelegt, nur Jesus allein angehören zu wollen. Dass sie später ihren Eltern und ihrer Lieblingsschwester Bonaventura zuliebe sich eine Zeit lang ein wenig auch äußerlich schmückte und „herausputzte“, bereute sie hinterher sehr, so dass sie sich Maria Magdalena, die große Büßerin, als Helferin und Fürsprecherin erwählte.
Als ihre Eltern für sie (der Sitte jener Zeit folgend) ab einem Alter von zwölf Jahren einen Bräutigam suchten, sie aber kundtat, dass sie nur Christus zum Bräutigam begehrte, weshalb sie sich schließlich in der Not auch noch ihre Haare abschnitt, standen die Zeichen in der Familie plötzlich für längere Zeit auf Sturm. Sie sollte, damit sie ihre „dummen Gedanken“ verliere, kein Zimmer mehr für sich allein haben und auch die Stelle einer Magd im eigenen Haus übernehmen, wodurch ihr fast keine Zeit mehr für Gebet und Betrachtung übrig blieb.
Sie bewältigte diese Schwierigkeit, indem sie trotz allem äußeren Trubel in ihrem Herzen die Verbindung mit Gott nie abreißen ließ. Sie verrichtete dabei alle ihr aufgetragenen Arbeiten mit großer Sorgfalt, aber auch in Freude, weil sie, wie sie später Raimund von Capua gegenüber einmal bekannte, sich an Stelle ihres Vaters, ihrer Mutter und ihrer Geschwister Christus, Maria und die Apostel und Jünger vorstellte, denen sie so zu dienen würdig befunden worden war.

(Fortsetzung folgt)

Thomas Ehrenberger

 

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